Freitag,
28. Mai 2004
Gespräch bei der Erziehungsberatung
Heute hatte ich dann das erste Gespräch bei der Erziehungsberatung - und habe jede
Menge Stoff zum Nachdenken bekommen!
Zunächst hat Frau F. nur mit mir gesprochen, um meinen Eindruck von der Situation
nachvollziehen zu können, allerdings nur, soweit es direkt unseren Sohn betrifft. Bei
allem, was die Beziehung zwischen I. und mir betrifft, hat Frau F. komplett abgeblockt,
das ist nicht Thema der Erziehungsberatung, hier geht es schließlich nur und
ausschließlich um den Jungen. Natürlich braucht die Beraterin dazu auch ein gewisses
"Hintergrundwissen", was die Beziehung der Eltern zueinander betrifft, aber nur,
soweit der Junge davon direkt betroffen ist, und im Grund war da die Aussage "wir haben
uns auseinander gelebt, uns in verschiedene Richtungen entwickelt, die gemeinsame
Kommunikationsebene verloren und sind im Bösen auseinander gegangen" schon mehr als
ausreichend. (Schon komisch, wenn bald zwanzig Jahre Beziehung so einfach mit einem
einzigen Satz "abgehandelt" werden können, danke, Thema erledigt! Mehr war das nicht
...?!?)
Ansonsten hat Frau F. mir klar gemacht, dass jede Scheidung ihren emotionalen Tribut
fordert, wenn nicht korrigierend eingegriffen wird, und die meisten Kinder werden - in
der einen oder anderen Form - körperlich krank, und das Symptom, was am häufigsten
auftritt, sind Depressionen, mehr oder weniger schwer. Meistens handelt es sich dabei
um eine reaktive Depression, d.h. um eine Reaktion auf einen schweren persönlichen
Verlust. Die reaktive Depression ist eine völlig normale Erscheinung, die uns hilft,
Verluste zu verarbeiten, und sie ist damit Teil der Trauerarbeit. Und Scheidungskinder
trauern, weil ihnen durch die Trennung der Eltern genommen wird, was ihnen das
Wertvollste im Leben war: Die intakte Familie, in der beide Eltern zu Hause wohnen.
Hinzu kommen weitere Verluste für das Kind, neben der Abwesenheit des Vaters oder der
Mutter z.B. ein Kontaktabbruch zwischen den Geschwistern, wenn die Kinder unter den
Eltern "aufgeteilt" werden (wie es bei uns ja letztlich der Fall war), die finanzielle
Sicherheit geht verloren und das Grundvertrauen in die Eltern geht verloren.
Bei den meisten Kindern tritt dann eine versteckte oder eine offene Depression auf.
Oft zeigen sich solche Depressionen bei Kindern durch Rebellion, Null-Bock-Stimmungen,
Wut und Groll, aber auch durch Abkapselung, Rückzug, die Kinder werden extrem
verschlossen etc. Es kommt aber auch genauso vor, dass Kinder "über-funktionieren",
weil sie glauben, die Eltern würden dies von ihnen erwarten, und auf diese Weise nicht
zeigen, wie sie sich seelisch fühlen. Grundsätzlich würden Mädchen nach einer Trennung
der Eltern eher zu dieser Art der Reaktion neigen, während Jungen eher zu offenen
Rebellion tendieren. (Scheint ja bei unseren Kindern auch eher so zu sein - leider!)
Schwere depressive Zustände MÜSSEN professionell behandelt werden, mildere Formen der
depressiven Verstimmung können aber durchaus auch von den Eltern aufgefangen werden.
Dazu gehört, die Depression zunächst zu akzeptieren. Sätze wie "so schlimm ist es doch
gar nicht!" wären zwar ganz normale elterliche Reaktionen, aber meist kontraproduktiv,
da die Kinder sich noch schuldiger fühlen, wenn ihnen so das Gefühl vermittelt wird,
die Eltern nehmen ihre Trauer und ihre Ängste nicht ernst, und sie - die Kinder -
würden ihre Gefühle übertreiben. Man muss vielmehr dem Kind helfen, Depression bewusst
zu durchleben und ihm die individuell richtige Zeit für seine persönliche Trauerarbeit
geben, ohne selbst ungeduldig zu werden. Außerdem muss man dem Kind helfen, sich mit
der Realität abzufinden, da so die Trauerarbeit beschleunigt wird, und dem Kind neue
Perspektiven aufzeigen. Besonders wichtig ist es auch, für das Kind klare
Verhaltensregeln festzulegen, die einerseits ohne allzu große Strenge und Disziplin
durchgesetzt werden können, andererseits dem Kind aber auch verlässliche Grenzen
aufzeigen. Eltern dürfen sich nicht durch das Leid des Kindes manipulieren lassen, das
Kind braucht - gerade bei einer Depression - klare Grenzen und Regeln.
Und genau daran fehlt es offenbar unserem Sohn, da wir ihn so quasi sich selbst
überlassen haben, zumindest nach meiner Beschreibung, so Frau F. Wichtig sei zunächst
eine klare Vereinbarung zur Umgangsrechtsregelung, die dann auch konsequent von I. und
mir umgesetzt werden müsse. Meine "Aufgabe" ist es also, zunächst einen konkreten
Vorschlag zur Gestaltung des Umgangsrechts für unseren Sohn zu erstellen, der dann in
der nächsten Sitzung mit Frau F. besprochen werden kann. Frau F. selber will in den
nächsten Tagen Kontakt zu I. aufnehmen, und sich dann in ungefähr einer Woche wieder
bei mir melden, um dann das weitere Vorgehen zu besprechen und abzustimmen.
Alles in allem hat Frau F. mir auch erklärt, dass das, was wir derzeit erleben, eine
völlig normale Reaktion eines Jugendlichen auf die Trennung seiner Eltern ist, mit der
wir aber konstruktiv umgehen müssen. Schuldzuweisungen und Selbstvorwürfe wären zwar
nur natürlich, aber nicht hilfreich, vielmehr müssen wir uns jetzt auf eine konkrete
Vorgehensweise einigen und diese auch konsequent umsetzen, mit allen damit verbundenen
Konsequenzen. Ich denke - das können wir schaffen!